10. Januar 2016

48.

Vier Monate und ein Bisschen,
so lang bin ich jetzt schon hier,
so lang bin ich jetzt schon von Zuhaus weg.

Jetzt, wo es fast Halbzeit ist, komm ich nicht drum herum wieder über Zeit zu grübeln.
Vor einem Jahr schon hab ich geschrieben, dass sie mir zwischen den Finger verrinnt, dass bevor ich einen Moment gefasst habe, er schon wieder Erinnerung, Vergangenheit ist.
Mir kommt der Gedanke, dass dieses Rasen sich langsam ziemlich permanent anfühlt.
Ich lese von Austauschschülern, die im Sommer fahren werden und erkenne in euch mich selbst,
in einer Weise naiv, nicht böse gemeint, aber so ist das halt, so unglaublich gespannt und während ihr eure Tage runterzählt so tun es meine auch.
Wie in einer dieser Filmsequenzen, mit dem Abreißkalender an der Wand, Ratsch, Ratsch, Ratsch. Stop mal, es ist 2016?

Ich habe Angst, dass ich unzufrieden mit dem bin, was hinter mir liegt, wenn das Flugzeug mich in sechs Monaten wieder ausspuckt, in dieses laute, dieses warme, dieses vertraute und doch fremde Deutschland. 
Ich sehe wie sich alles um mich verändert, ich denke das war schon immer so, wahrscheinlich hab ich dem einfach noch nie so viel Beachtung geschenkt, aus der Ferne, von meiner Insel sieht man vielleicht auch einfach nur besser.

Ich lerne zu schätzen, was ich habe und hatte und was auf mich wartet in ein paar Monaten.
Avocado, Parmesan und Mozzarella meinetwegen, aber viel mehr die Menschen, die mich dorthin gebracht haben, wo ich grad bin, auch wenn es für sie nicht einfach ist.

Ich denke daran, was ich aufgeschrieben habe, als man mich fragte, was ich mir von diesem Jahr erwarte. 
Mich selbst kennen lernen und die Frage, was ich will und wer ich eigentlich binbeantworten. 
Vollständig beantwortet, nein. Aber ich denke ich habe vieles gelernt, das mir dabei helfen wird.
Ich will selbstständiger werden schrieb ich, ohne wirklich zu realisieren, dass das mehr als nur ein Adjektiv ist, dass es nicht nur bequem ist unabhängig zu sein.
Selbstbewusster wollte ich sein, aber wann ist man selbstbewusst?
Mir ist es unwichtiger, was andere denken, mir ist es egal, ob etwas peinlich sein sollte, in vier Monaten in einem fremden Land, ohne diese Sprache vollständig zu sprechen passiert so viel peinliches, dass es wirklich egal ist. 
Ich wollte Freunde aus der ganzen Welt haben, und das kann ich euch sagen, ist das Beste, was ich mir hätte erwünschen können. Tschüss sagen ist herzzerreißend und die Frage, wann und ob man sich wieder sieht ist sehr aktuell für mich.
Und dann hab ich irgendwann angefangen auch noch aufzuschreiben, dass ich glücklich sei will, hat sich richtig angefühlt, tut es immer noch. und ich kann sagen auch wenn es schwer ist, ist es doch einfach zu sagen, dass ich glücklich bin.

Ich will im hier und jetzt leben, bara hér og núna.
Aber das ist schwer, es ist schwer nur hier zu sein, wenn ich doch nicht von hier bin, wenn ich noch ein anderes Zuhause habe.
Und es ist schwer nur jetzt zu sein, auch wenn ich doch irgenwie auf Stop gedrückt habe ist es nicht "aus den Augen, aus dem Sinn" und so viel wird auf mich einrauschen, wenn ich wieder Zuhaus bin.

Ich bin dann nicht mehr der Skiptinemi, der an die Hand genommen wird, über den nicht böse gedacht wird, wenn er etwas falsch macht, der Skiptinemi, der manchmal einfach die Ohren zuklappt, in seinen Gedanke verschwindet, die Worte ohne Anstrengung wieder in das unbekannte Brummen verschwimmen lässt.
Mir graut es davor, die sechzehnjährige Deutsche in Deutschland zu sein, denn die muss in der Schule nicht nur für sozialen Kontakt antanzen, für die ist nicht jeder Gang vor die Tür eine aufregende Expedition. Ich will nicht in Gewohnheit fallen.

Island fühlt sich an, als hätte ich Deutschland und Berlin, in eine Schublade geschoben. Zugegeben eine Schublade, die keineswegs irgendwo vermodert, aber doch so weit weg.

Schon ne kleine Parallelwelt, fragt meine Mama.
Ja schon.


Lily

4 Kommentare:

  1. Liebe Lily,
    wir sind in etwa zeitgleich am PC.
    In einigen Monaten bist Du wieder in Berlin, und Du wirst staunen, wie schnell Du Dich einlebst, ohne Dein liebes Island zu vergessen.
    Genieße die Zeit mit Deinen Freunden aus alles Welt.

    Omi

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  2. hei
    ich verfolge deinen Blog schon eine Weile.
    Ich bin auch ATS allerdings in Norwegen, und muss sagen dein Blog spricht mir echt aus dem Herzen. Mir geht es genau so.
    Du hast echt ein Talent mit Worten, mach weiter so!!!
    Annika

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